Ausstellung „Brücke und Blauer Reiter“ wandert durch drei Häuser
Als die Farben aufmuckten - Eine Einladung zum vergleichenden Sehen - Neue Perspektiven & Fragestellungen - Der expressive Aufbruch zwischen Ostsee und Alpenvorland
„Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“
So bringt es Ernst Ludwig Kirchner 1906 auf den Punkt. Doch zunächst sind es nur vier junge Architekturstudenten in Dresden, die sich zur Künstlergruppe „Brücke“ formieren. Der Rest ist Legende. Doch die Geschichte des deutschen Vorkriegs-Expressionismus wäre nicht komplett ohne das Münchner Pendant „Der Blaue Reiter“. Was verbindet? Was unterscheidet die Akteure des Aufbruchs aus verkrusteten wilhelminischen Strukturen? Antworten darauf liefert derzeit das Wuppertaler Von der Heydt-Museum. Es versammelt zahlreiche Gemälde und Graphiken von „Brücke und Blauer Reiter“ unter einem Dach - und lädt dazu ein, neue Perspektiven zu entwickeln, Parallelen und Unterschiede zu erkennen. Die fulminante Antrittsausstellung des neuen Museumsleiters Dr. Roland Mönig basiert auf einer Kooperation mit dem Buchheim- Museum der Phantasie in Bernried und den Kunstsammlungen Chemnitz. An beiden Stationen wird sie im Anschluss an Wuppertal zu sehen sein.
Die Schau beginnt mit einem „Prolog“. Im größten der insgesamt neun Räume können die Besucher zwischen den Ateliers der beiden Gruppen flanieren, unter Badenden und farbenfrohen Tieren wandeln. Sie sehen Porträts und Aktdarstellungen in unterschiedlichen Abstraktionsstufen, spüren hautnah die Kontraste zwischen den Metropolen München, Dresden und Berlin sowie dem blauen Land rund um Murnau oder der Ostsee.
Ein Viertel Jahrhundert musste man auf solch eine Gelegenheit warten. Dennoch hat die riesige Resonanz die Macher selbst ein wenig überrascht. Roland Mönig, der seine Dissertation über die Malerei und Dichtung des Expressionismus schrieb, hat jedenfalls einen Nerv der Zeit getroffen. Bis zu 800 Gäste kamen über die Feiertage täglich – und das unter Pandemie-Bedingungen. Nicht nur das Plakat ist mittlerweile vergriffen, auch das Begleitheft für Kinder gibt es leider nicht mehr.
Neben einem Wiedersehen mit Highlights der klassischen Moderne erlaubt die Schau auch neue Fragestellungen. So ist die Rolle exotischer „Modelle“ mittlerweile im Kontext des Kolonialismus lesbar. Denn selbst Südseereisende wie Max Pechstein oder Emil Nolde erlebten vor Ort maximal ein „verlorenes Paradies“.
Die Rolle der Frauen rückt ebenfalls in den Fokus. Während sie bei der „Brücke“ vor allem als (häufig minderjährige Akt-) Modelle dienten, wirkten im Kreis des Blauen Reiters immerhin Marianne von Werefkin und Gabriele Münter als aktive Künstlerinnen mit. Ihnen widmet die Schau einen „Paar-Saal“. Doch selbst die Münter, die am Almanach des Blauen Reiters redaktionell mitarbeitete – und als einzige Künstlerin mit Abbildungen vertreten ist – bleibt im Impressum unbenannt!
Am Ende der Schau erscheinen Kirchners „Frauen auf der Straße“, inszeniert als eine Art Großstadt-Ikone, die bereits auf die Zwanzigerjahre verweist. Einen bitteren Blick zurück notiert Kirchner 1923 in seinem Davoser Tagebuch: „Klee umgeht die Schwierigkeiten. Marc ist überhaupt indiskutabel. Kitsch à la Kandinsky.“ Mit dieser Meinung dürfte der Verfasser heute aber ziemlich alleine dastehen.
Info: Die Ausstellung ist:
- bis 27. Februar im Von der Heydt-Museum Wuppertal zu sehen
- vom 27. März bis 26. Juni in den Kunstsammlungen Chemnitz und
- vom 16. Juli bis 13. November im Museum der Phantasie Bernried.
BUZ: Erstmals seit langer Zeit zeigt das Von der Heydt-Museum Wuppertal „Brücke und Blauer Reiter“, vereint damit die beiden Hauptakteure des Expressionismus im wilhelminischen Kaiserreich.