Rosenrot, Grasgrün, Quittengelb
„Pflanzengeheimisse“ zwischen Mythos und Forschergeist / Flora wurde nur zum Teil entzaubert
Naturerwachen allerorten. Von Stockholm über Basel bis München grünt und blüht es derzeit in den Gewächshäusern der Bildenden Kunst. Auch die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall hievt mit „Rosenrot, Grasgrün, Quittengelb“ den farbenfrohen Kunstfrühling in den Titel und setzt darunter das bestsellererprobte Wort „Pflanzengeheimnisse“.
Rund 200 Arbeiten – überwiegend aus der Sammlung Würth - vermitteln vielfältige Eindrücke der globalen Biodiversität. Zeitlich dominieren die letzten zwei Jahrhunderte, von der Salonkunst geht die Reise zum surrealen Mastermind Max Ernst und endet im Hier und Jetzt beim japanischen Pflanzenseelenversteher Azuma Makoto. Dazwischen finden sich Apothekerherbarien und historische Pflanzenbücher, asiatische Blumenkörbe und ein verhülltes Baumüberbleibsel von Christo. Große Namen sind reichlich vertreten, mitunter gar mit kleinen Formaten.
„Wir haben die kulturhistorische Brille aufgesetzt und werfen neue Blicke auf die Sammlung“
erläutert Kuratorin Dr. Beate Elsen-Schwedler beim Presserundgang das Konzept. Flora, die in der Antike Farbe, Vielfalt und Wandel in die Natur brachte, wurde zwar entmythologisiert, aber das sei nur die eine Hälfte der Wahrheit.
Bereits die Empfangskoje wirkt weniger üppig-prächtig als abstrahierend-beherrscht. Immerhin räkeln sich Max Ernsts nächtliche Pflanzen und lösen das Versprechen des Rätselhaften ein. Einblicke in Künstlergärten folgen. Gabriele Münter malte vor dem Murnauer Bergpanorama eine Tigerlilie. Ob das Stillleben mit Lieblingspflanze dem Japonismus huldigt, liegt im Auge des Betrachters. David Hockneys Atelierkakteen bringen südliche Farbstärke. Eine „Hommage“ umschriebene Ahnung von Monets Seerosen vermittelt Alex Katz und bleibt hart an der Oberfläche. Die Rebellenpose übernimmt Marc Quinn, der seinen Sohn als vergoldeten Putto in Szene setzt, ganz zeitgemäß mit Pampers. Statt einer Blumengirlande verweist ein hübscher DNA-Code auf den Gendefekt des Juniors.
„Wir möchten Gegenstände sehen“
kommentiert die Kuratorin Günther Förgs frühlingsbunte Farbakkorde. Der Wunsch, genau hinzuschauen, vereint Alchemisten, Apotheker und Künstler seit dem „New Kreüterbuch“ des Tübinger Humanisten Leonhart Fuchs anno 1543. Vor 100 Jahren zog ein Haller Apotheker in die Natur und suchte Pflanzen für ein wissenschaftliches Herbarium. Ein ganz ähnliches Sammel- und Ordnungsprinzip inspirierte Herman de Vries zu seiner 100 Objektkästen umfassenden Ortsbeschreibung der Lagune von Venedig. Blaue Glasscherben übermitteln die Botschaft der blauen Blume.
„Ich höre in die Pflanzen hinein“
betont Blumenexperte Azuma Makoto. Kein Wunder, kam er doch von der Musik über einen Job beim Floristen zu seinen blühenden Artarrangements. Dass sich die Pflanzen ständig bewegen, dokumentieren seine Zeitrafferaufnahmen, die „Drop Times“. Auch in Schwäbisch Hall gibt es eine florale Wunderkugel als hochästhetische Fortsetzung der Seedballs. Um einen zentralen Stechschwamm mit Spezialerde blüht es ab dem ersten Ausstellungstag. Samen und Zwiebeln lassen die Pflanzenskulptur sprießen, wachsen, blühen - und wieder vergehen. Der große Kreislauf des Lebens en miniature.
Wen es nach dem Hallenrundgang hinaus in die Landschaft zieht, der kann im nahen Künzelsau ein Spätwerk von David Hockney erstmals in Deutschland besichtigen. „A Year in Normandie“ besteht aus einem 90 Meter langen iPad-Fries, den der technikaffine 85-Jährige en plein air schuf. Pate standen dabei chinesische Rollenpanoramen sowie der 70 Meter lange Wandteppich von Bayeux, der die Eroberung Englands durch die Normannen zeigt. Doch die großgezoomten Digitalgemälde sind so friedlich wie Monets „Grands Décorations“. Allerdings lauter und bunter.
Info: Die Ausstellung in der Kunsthalle Würth Schwäbisch Hall ist bis 5. November geöffnet, der Hockney-Fries bis 16. Juli im Museum Würth 2 Künzelsau zu sehen. Jeweils täglich von 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei, es erscheint ein Katalog.
(c) Alle Fotos: Peter Lahr